7

 

Dylan saß still auf dem Bett und sah zu, wie der dunkle Fremde ihren Laptop und ihre Kamera konfiszierte und dann ihre restlichen Habseligkeiten durchwühlte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn gewähren zu lassen. Er bemerkte die kleinste Bewegung sofort, und nach diesem unfassbaren Manöver vorhin, als er ihr mit Überschallgeschwindigkeit den Weg zur Tür blockiert hatte, hatte sie nicht mehr die Nerven, noch einen Fluchtversuch zu wagen.

Sie hatte keine Ahnung, was sie von ihm halten sollte.

Er war gefährlich, das stand außer Frage. Wahrscheinlich würde er auch töten, wenn er wollte, obwohl er momentan offenbar nicht in erster Linie auf Mord aus war. Wenn er ihr etwas hätte antun wollen, hatte er bisher schon reichlich Gelegenheit dazu gehabt. Zum Beispiel, als sie unter ihm auf dem Boden lag und sich nur allzu deutlich der Tatsache bewusst war, dass ein über hundert Kilo schwerer, muskelbepackter Mann auf ihr hockte und sie keine Chance hatte, ihn abzuwerfen. Er hätte ihr diese Riesenpranken um den Hals legen und sie erwürgen können, einfach so, auf dem Boden ihres Hotelzimmers.

Aber er hatte es nicht getan.

Und auch dem anderen Impuls, der ihn so offensichtlich ergriffen hatte, hatte er nicht nachgegeben. Dylan war nicht entgangen, wie er sie angesehen hatte, wie intensiv sein Blick auf ihren Mund gerichtet war. Die eindeutig männliche Reaktion seines Körpers, als er rittlings auf ihr gesessen hatte, war unmissverständlich gewesen, und doch hatte er sie nicht angerührt. Im Gegenteil, seine Erregung schien ihn fast genauso zu beunruhigen wie sie. Also war er offenbar doch kein kaltblütiger Killer, Psychopath oder Vergewaltiger, trotz der Tatsache, dass er sie den ganzen Weg von Jicín nach Prag verfolgt hatte.

Was also war er?

Er bewegte sich zu schnell, war viel zu genau und zu wendig um so eine Art durchgeknallter Aussteigertyp oder ein Feld-Wald-und-Wiesen- Obdachloser zu sein. Nein, er war keines von beiden. Er mochte verdreckt und zerlumpt sein, die eine Gesichtshälfte entstellt von einem schrecklichen Unfall, über den sie nur Vermutungen anstellen konnte, aber unter seinem verdreckten Äußeren war er etwas ... anderes.

Wer auch immer dieser Mann war, er war hünenhaft und stark und gefährlich wachsam. Seinen hellwachen Augen und Ohren entging nichts. Seine Sinne schienen auf eine höhere Frequenz eingestellt, als es Menschen möglich war. Selbst wenn er halb wahnsinnig war - er gab sich, als wäre er sich seiner Macht vollkommen bewusst und als wüsste er sie auch einzusetzen.

„Sind Sie von der Armee oder so?“, riet sie laut. „So wie Sie reden, könnten Sie bei der Truppe sein. Sie bewegen sich auch so. Was sind Sie, Angehöriger einer Spezialeinheit? Vielleicht ehemaliger Soldat.

Was haben Sie auf diesem Berg bei Jicín gemacht?“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu und stopfte den Laptop und die Kamera wieder in ihre Schultertasche, antwortete aber nicht.

„Sie können mir genauso gut verraten, um was es hier Seht. Ich bin vielleicht Journalistin“ - nun, zugegebenermaßen wagte sie sich nun etwas weit vor -, „aber deshalb lasse ich doch mit mir reden. Wenn diese Bilder brisantes Material sind oder unter eine Informationssperre fallen oder eine Frage der nationalen Sicherheit sind, dann sagen Sie's mir doch einfach. Warum sind Sie so besorgt, dass Leute sehen könnten, was in dieser Höhle war?“

„Sie stellen zu viele Fragen.“

Sie zuckte die Schultern. „Sorry. Bringt mein Beruf so mit sich.“

„Ihr Beruf bringt Sie in Schwierigkeiten“, sagte er und warf ihr einen finsteren, warnenden Blick zu. „Je weniger Sie darüber wissen, desto besser.“

„Sie meinen, über die ,Überwinterungskammer'?“ Er erstarrte sichtlich, aber Dylan redete weiter. „So haben Sie das doch eben genannt, nicht? Das war es, was Sie zu Ihrem Freund Gideon gesagt haben. Dass die Kacke am Dampfen ist, weil ich Fotos gemacht habe von dieser Überwinterungskammer und diesen ... Glyphen, sagten Sie, glaube ich.“

„Herr im Himmel“, zischte er. „Sie hätten nicht zuhören dürfen.“

„Das war nicht zu vermeiden. Wenn man gegen seinen Willen festgehalten wird und ziemlich sicher damit rechnen kann, umgebracht zu werden, ist es nun mal im Allgemeinen so, dass man die Ohren spitzt.“

„Sie werden nicht umgebracht.“

Sein kalter, sachlicher Tonfall war nicht gerade beruhigend. „Aber für mich hörte es sich an, als hätten Sie zumindest daran gedacht. Es sei denn, das Wort ,löschen' bedeutet etwas anderes für Sie als für jeden, der sich je einen Mafiafilm angesehen hat.“

Er schnaubte und schüttelte kurz den Kopf.

„Was war in dieser Höhle?“

„Vergessen Sie's.“

Das könnte ihm so passen. Nicht, wenn er so geheimnisvoll tat.

Offenbar wollte er das Geheimnis um jeden Preis wahren. „Was bedeuten all diese seltsamen Symbole auf den Höhenwänden? Sind es altertümliche Schriftzeichen? Eine Art Code? Was ist es nur, das Sie um jeden Preis vor der Welt verbergen wollen?“

Er war so schnell bei ihr, dass sie nicht einmal sah, wie er sich bewegte. Sie zwinkerte einmal, und schon war er direkt vor ihr, sein breiter, massiger Körper ragte vor ihr auf, sodass sie auf dem Bett zurückwich.

„Hören Sie mir zu, und hören Sie mir gut zu, Dylan Alexander“, sagte er knapp. Der Klang ihres Namens, wie er von seinen Lippen rollte, war unangenehm vertraulich. „Das ist kein Spiel. Es ist kein Puzzlespiel, das Sie zusammensetzen können. Und mit Sicherheit auch keine verdammte Story, die Sie veröffentlichen können. Also tun Sie uns beiden einen Gefallen und hören Sie auf, Fragen zu stellen über etwas, das Sie nichts angeht.“

Seine topasfarbenen Augen waren wach und blitzten vor Ärger.

Dieser heiße, durchdringende Blick war es, der ihr am meisten Angst machte - noch mehr als die Bedrohung, die von seiner mühsam gebändigten Kraft ausging, oder die schrecklichen Narben, die sich über seine linke Gesichtshälfte zogen und ihm ein so furchteinflößendes Aussehen gaben.

Aber wenn er meinte, dass die Höhle und die Geheimnisse, die sie barg, sie nichts angingen, irrte er sich. Die Sache interessierte sie persönlich, und nicht nur deshalb, weil es sich allmählich anhörte wie die Art Story, die ihre sogenannte Karriere retten könnte. Und nicht nur retten. Sie würde ihre Karriere begründen.

Dylans Interesse an der Höhle und ihrer seltsamen Wandbemalung war von dem Augenblick an sehr persönlich geworden, als sie das Symbol bemerkt hatte. Die Träne, die in die Wiege eines zunehmenden Mondes fiel. Es sah genauso aus wie ihr Muttermal im Nacken.

Gerade dachte sie über diesen absurden Zufall nach, als plötzlich das Telefon läutete. Ihr uneingeladener Gast nahm den Hörer ab und führte einen kurzen Wortwechsel, dem sich nichts entnehmen ließ.

Dann legte er auf, schlang sich den Riemen ihrer Umhängetasche über die Schulter und ging zu ihrem Rucksack hinüber, der ihre übrigen Habseligkeiten enthielt. Er nahm ihre Handtasche vom Nachtschränkchen und warf sie ihr zu.

„Unser Fahrer ist da“, sagte er, als sie die kleine Handtasche auffing. „Zeit zum Aufbruch.“

„Was soll das heißen, unser Fahrer?“

„Wir gehen jetzt.“

Eine Flutwelle der Angst brandete in ihr auf, aber sie versuchte, wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben. „Das können Sie vergessen. Wenn Sie denken, dass ich mit Ihnen irgendwohin gehe, dann müssen Sie verrückt sein.“

„Sie haben keine Wahl.“

Er kam auf sie zu, und Dylan wusste, dass sie keine Chance hatte, ihn zu überwältigen oder ihm davonzulaufen. Nicht, wenn sie drei Stockwerke nach unten musste, um vor ihm zu fliehen. Aber was sie tun konnte, war, um Hilfe zu schreien - und genau das würde sie tun, und zwar sobald er sie in die Hotellobby schleppte.

Nur - er brachte sie leider nicht in die Lobby, wo sie sich vor ihm hätte retten können. Er öffnete nicht einmal die Tür, die auf den Korridor vor ihrem Zimmer führte.

Mit derselben Geschwindigkeit und Kraft, die sie schon mehrmals verblüfft hatten, packte er sie am Handgelenk und zog sie zum Fenster.

Es ging auf eine Seitenstraße hinaus, die in schwindelerregender Tiefe unter ihnen lag. Er stieß das Fenster auf und kletterte auf die Feuerleiter hinaus. Dabei hielt er immer noch ihren Arm fest und zog sie hinter sich her.

„Was zum Teufel tun Sie da?“ Dylan stemmte ihre Füße in den Boden, ihre Augen waren vor Angst geweitet. „Sind Sie wahnsinnig?

Sie werden uns beiden das Genick brechen, wenn Sie ...“

Er gab ihr keine Chance, den Gedanken, geschweige denn den Satz zu beenden.

Bevor Dylan realisieren konnte, was gerade passierte, wurde sie aus dem Fenster und über seine massigen Schultern gehoben. Sie hörte seine Stiefel auf der eisernen Feuertreppe scheppern. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als er - das war doch nicht möglich - mit ihr vom nächsten Treppenabsatz in die Tiefe sprang.

Drei Stockwerke tiefer kamen sie auf dem Boden auf.

Doch ihrer beider Knochen wurden nicht, wie sie erwartet hatte, durch den Aufprall zerschmettert, sondern der Mann kam weich, fast elegant, auf dem Boden auf. Sie versuchte das irgendwie zu begreifen, als sie plötzlich in den offen stehenden Laderaum eines Lastwagens gestoßen wurde, der ganz in der Nähe wartete.

Dylan fiel hinein, ihr Entführer war gleich hinter ihr. Orientierungslos und verwirrt, wie sie war, konnte sie nicht ein einziges Wort sagen, als die schwere Tür mit einem dumpfen Schlag zugeworfen wurde. Völlige Dunkelheit umgab sie.

Mit einem Aufheulen sprang der Motor des Lastwagens an, dann setzte sich das Gefährt mit seiner Fracht mit quietschenden Reifen in Bewegung.

In Boston war es fast fünf Uhr morgens, als die letzten Ordenskrieger von ihren nächtlichen Patrouillengängen zurückkamen. Lucan, Tegan und Dante, deren Gefährtinnen ihre Ankunft im Hauptquartier erwarteten, hatten sich schon vor etwa einer Stunde wieder zurückgemeldet. Sterling Chase, ehemaliger Agent der Dunklen Häfen, der erst im letzten Jahr zum Orden gestoßen war und sich als begeisterter Neuzugang mit beachtlichen Trefferquoten erwiesen hatte, war auch schon wieder zurück.

Nun trudelten nach und nach auch die drei übrigen Mitglieder des Ordens ein, und Gideon war nicht überrascht, dass Nikolai das Schlusslicht bildete. Obwohl der jüngste von allen Kriegern, war Niko der gnadenloseste Kämpfer, den Gideon je gesehen hatte. Der Vampir aus Russland war ein Adrenalinjunkie und brutaler Kämpfer, er machte nicht eher Feierabend, bis die Morgendämmerung über den Horizont kroch und ihn von der Straße zwang.

Im Umgang mit Hightech-Waffen wurde Niko zu einem wahren Dämon.

An diesem Abend, als der schwarz gekleidete Krieger mit dem goldblonden Haar und den gletscherblauen Augen hinter den zwei neuesten Mitgliedern des Kaders, Kade und Brock, hereinschlenderte, bemerkte Gideon, dass er mit einer seiner neuesten Kreationen bewaffnet war. Eine Neunmillimeter-Halbautomatik steckte an Nikos Hüfte, ein wirklich übles Ding, geladen mit titangefüllten Hohlspitzgeschossen. An seinem Schulterriemen baumelte ein Scharfschützengewehr mit Laservisier, ausgerüstet mit derselben Spezialmunition.

Selbst aus seinem Glaskasten, dem Techniklabor des Hauptquartiers, konnte Gideon den frischen Tod an ihm riechen. Nicht den Tod von Menschen - der Stamm bemühte sich im Allgemeinen um ein friedliches Zusammenleben mit seinen Vettern der Spezies Homo sapiens. Sie bezogen ihre Nahrung von Menschen, um zu überleben, aber es kam nur selten vor, dass ein Vampir seinen Blutwirt tötete. Es ergab keinen Sinn für sie, ihre einzige Nahrungsquelle auszurotten oder sich als tödliche Bedrohung ebendieser Nahrungsquelle zu präsentieren. Denn so brachte man die Menschheit nur auf die Idee, den Stamm ausrotten zu wollen.

Aber es gab eine kleine Splittergruppe des Vampirvolks, die sich den Teufel um Vernunft und Logik scherte. Rogues - Vampire, die blutsüchtig geworden und aus der Art geschlagen waren und nur noch lebten, um ihrer Sucht zu frönen - waren es, die sich im Fadenkreuz der gnadenlosen Selbstjustiz des Stammes wiederfanden.

Der Orden bekämpfte diese gefährliche Minderheit in den eigenen Reihen seit dem Mittelalter, eine Aufgabe, die den Ordenskriegern bei der übrigen Vampirbevölkerung den Ruf eingebracht hatte, gnadenlose Killer zu sein. Nicht dass Gideon und seine Brüder auf Auszeichnungen oder öffentliche Bewunderung aus waren. Ihr Geschäft war hart und erbittert, und sie machten ihre Sache vorzüglich.

Gideon empfing die drei heimkehrenden Krieger im Korridor vor dem Labor und rümpfte die Nase über den Rogue-Gestank, den Niko hereinbrachte.

„Ich nehme an, die Jagd ist heute gut gelaufen.“

Niko grinste. „Sie ging auf jeden Fall gut aus. Ich habe mich an einen Blutsauger rangehängt und ihn eingeäschert. In Beacon Hill hat er eine Frau angefallen, die ihren Hund ausführte, und ist dann aus der Innenstadt raus.“

„Unser Junge hier hat diesen Rogue über fünfzig Kilometer weit verfolgt, zu Fuß“, fügte Brock hinzu und verdrehte die dunkelbraunen Augen. „Ich hatte den Rover frisch aufgetankt an der Ecke stehen. Wir hätten den Hurensohn in drei Minuten geplättet, aber nein, unsere Jackie Joyner hier zieht lieber zu Fuß los.“

Niko lachte leise in sich hinein. „Hey, man wird sich's doch wohl noch ein bisschen interessanter machen dürfen. Außerdem war bis dahin sowieso tote Hose.“

„Schon den ganzen Monat“, meinte Kade. Er beschwerte sich nicht, stellte lediglich eine Tatsache fest.

Die Lage in der Stadt war seit Februar bedeutend ruhiger geworden.

Damals hatte der Orden endlich den Vampir getötet, der für einen Ausbruch von Gewalt in und um Boston verantwortlich war. Marek war nun nicht mehr, und nach seinem Tod hatten die Krieger alle seine Untergebenen aufgespürt und zur Strecke gebracht. Mareks menschliche Lakaien waren kein Problem gewesen - die ausgesaugten, mental ferngesteuerten Sklaven konnten ohne ihren Herrn und Meister nicht überleben. Wo auch immer sie waren, ihr Atem setzte mit seinem aus, und sie fielen tot um. Nach außen hin etwas plötzlich, aber aus vollkommen natürlichen Ursachen.

Doch Mareks persönliches Gefolge von Rogues war leider nicht so entgegenkommend wie ihre menschlichen Gegenstücke. Die blutsüchtigen Vampire, die Marek zum Teil unter Zwang als Leibwächter und Leutnants rekrutiert hatte, waren nun sich selbst überlassen und streiften frei herum.

Ohne Marek, der sie bei der Stange hielt und ihnen die Opfer lieferte, an denen sie ihre Blutgier stillen konnten, hatten sich die Rogues zerstreut.

Seither jagten sie unter der menschlichen Bevölkerung wie unersättliche Raubtiere - die sie ja auch waren - nach Beute.

Seit dem Winter hatte der Orden zwischen Boston und Mareks letztem bekannten Hauptquartier in den Berkshires, einer ländlichen, bewaldeten Gegend zwei Autostunden westlich von Boston, zehn Blutsauger eingeäschert. Mit dem, den Niko heute Nacht erwischt hatte, waren es elf.

Und obwohl es stimmte, was Kade über die momentan ruhige Lage gesagt hatte, war Gideon schon lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass eine ruhige Phase wie jetzt nie von Dauer war. Oft herrschte trügerische Ruhe, bevor ein höllischer Sturm losbrach.

Nachdem der Orden im letzten Februar auf diesem böhmischen Berg die Entdeckung gemacht hatte, hatten sie kaum Zweifel, dass sich gerade ein Sturm von monumentalen, bisher ungeahnten Ausmaßen zusammenbraute. Etwas Uraltes und unsäglich Böses hatte in dieser Felsengruft geschlafen - ein Vampir, der anders war als alle anderen, die es heute gab. Nun trieb diese mächtige außerirdische Kreatur irgendwo ihr Unwesen, und die wichtigste und heikelste Mission des Ordens bestand darin, sie zu finden und zu zerstören, bevor sie womöglich ihren Schrecken über der ganzen Welt ausbreiten konnte.

Diese Aufgabe würde um einiges schwieriger werden, wenn das geheime Reich des Stammes - und die drohenden Probleme in den eigenen Reihen - von einer neugierigen Reporterin, die es irgendwie geschafft hatte, mitten hineinzustolpern, publik gemacht wurden.

„Ich habe heute Nacht einen interessanten Anruf aus Prag bekommen“, sagte Gideon. „Rio ist wieder aufgetaucht.“

Niko senkte die lohfarbenen Augenbrauen. „Er ist nicht in Spanien?

Wann ist er nach Prag zurückgekommen?“

„Anscheinend war er gar nicht fort. Er ist da drüben in Schwierigkeiten geraten, eine amerikanische Reporterin hat die Höhle gesehen. Sie war in der Überwinterungskammer des Alten. Hat offenbar auch ein paar Schnappschüsse gemacht.“

„Zur Hölle noch mal. Wann war das?“

„Ich habe noch nicht alle Einzelheiten. Rio arbeitet daran, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Er und die Frau sind gerade auf dem Weg zu Reichen nach Berlin. Er wird sich melden und Bericht erstatten, wenn er dort ankommt, damit wir uns überlegen können, wie wir diese potenzielle Katastrophe eindämmen können.“

„Scheiße“, stieß Brock hervor und fuhr sich über die dunkle Stirn. „Rio lebt also noch, was? Muss schon sagen, der Typ überrascht mich. Er hat sich so lange unerlaubt von der Truppe entfernt, ich dachte schon, er kommt gar nicht wieder. Ihr wisst, was ich meine? So unruhig und reizbar, wie er zuletzt war - perfekter Selbstmordkandidat, wenn ihr mich fragt.“

„Hätte er mal besser gemacht“, warf Kade ein und kicherte. „Wo wir uns doch schon mit Chase und Niko rumärgern müssen. Braucht der Orden wirklich noch so einen rasenden Irren?“

Niko sprang den anderen Krieger an wie eine Viper. Ohne jegliche Vorwarnung packte Niko Kade am Hals, hob den riesenhaften Kerl hoch und schmetterte ihn gegen die Korridorwand. Er kochte vor Wut und hielt Kade in einem fast schon tödlichen Griff gepackt.

„Himmel noch mal“, zischte Kade, von der unerwarteten Reaktion offensichtlich genauso schockiert wie alle anderen. „Das war doch bloß ein Witz, Mann!“

Nikolai knurrte. „Siehst du mich lachen? Sehe ich so aus, als lache ich, verdammt noch mal?“

Kades scharfe silberne Augen verengten sich, aber er sagte nichts weiter, um Niko nicht zu provozieren.

„Was du über mich sagst, ist mir scheißegal“, knurrte Niko, „aber wenn du dir was Gutes tun willst, dann lass gefälligst Rio aus dem Spiel.“

Gideon hätte sich denken können, dass es nicht darum ging, dass Kade unabsichtlich Nikolai beleidigt hatte. Es ging um Nikos Freundschaft mit Rio. Vor der Explosion in der Lagerhalle, die Rio entstellt und zum Wrack gemacht hatte, waren die beiden Krieger wie Brüder gewesen.

Danach war es Niko gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Rio gefüttert wurde, der Rio aus der Krankenstation gezerrt und mit ihm am Schießstand des Hauptquartiers trainiert hatte, sobald der verletzte Krieger wieder aufrecht stehen konnte.

Und immer, wenn Rio verkündet hatte, dass es mit ihm vorbei sei, dass er zu nichts mehr nütze sei und aus dem Orden austreten wolle, war es Nikolai gewesen, der am eindringlichsten mit ihm geredet hatte. In den fast fünf Monaten, in denen Rio verschwunden war, war keine Woche vergangen, in der Niko nicht nach ihm gefragt hatte.

„Niko, verdammt noch mal, Kumpel“, sagte Brock. „Jetzt mach aber mal halblang.“

Der riesige schwarze Krieger ging dazwischen, offenbar wollte er Niko von Kade losreißen, aber Gideon hielt ihn mit einem Blick zurück. Obwohl Nikolai seinen Griff nun etwas lockerte, hing seine Wut immer noch allgegenwärtig im Korridor in der Luft.

„Du hast keine Ahnung von Rio“, sagte er zu Kade. „Dieser Krieger hat mehr Ehrgefühl im kleinen Finger als wir beide zusammen. Ich will nie wieder hören, dass du Scheiße über ihn verzapfst. Hast du mich verstanden?“

Kade nickte knapp. „Klar. Wie ich schon sagte, es war nur ein verdammter Spaß. Ich hab's nicht so gemeint.“

Einen langen Augenblick starrte Niko ihn an, dann stapfte er stumm davon.

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